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JETZT
TUN im NUN
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Niemals hat je ein Mensch auch
nur für eine Sekunde in Vergangenheit oder Zukunft gelebt.
Wir leben immer im Jetzt. Alles, was geschieht, passiert
offensichtlich immer in der Gegenwart.
Philosophen und Weisheitslehrer machen seit Jahrtausenden
die Aussage, dieses Jetzt sei immer dasselbe und
unvergänglich und die Zeit sei eine Illusion. Auch die
moderne Physik stellt solche Überlegungen an. Unsere
Erfahrung sagt jedoch etwas anderes. Denn anscheinend ist
der gegenwärtige Augenblick nie derselbe, sondern ständigen
Veränderungen unterworfen. Dieser Widerspruch lässt sich
aber auflösen, sobald wir die Erfahrung des Jetzt aufteilen
in Erfahrungen von Form und Inhalt. Wenn wir auf einem
Bildschirm einen Film ansehen, nehmen wir die Bilder wahr,
sind uns aber auch bewusst, dass die sich ständig wandelnden
Bilder auf einem unveränderlichen Bildschirm ablaufen.
Genauso können wir die Wahrnehmung des Jetzt betrachten. Die
Gegenwart, die Zeit, in der alle Wahrnehmung stattfindet ist
immer dieselbe; was sich verändert, ist nur der Inhalt. Was
da vor uns abläuft, ist nicht Zeit, sondern es sind die
Bilder, die den gegenwärtigen Zustand der Schöpfung
widerspiegeln.
Was ist dann aber das, was wir als Zeit bezeichnen; was
messen wir, wenn wir Zeit messen?
Zeitmessung findet immer mit Hilfe von gleichmäßig
ablaufenden Prozessen statt. Das kann eine Umdrehung der
Erde, die Schwingung eines Pendels oder die Schwingung eines
Quarzes oder eines Cäsium-Atoms in einer modernen Uhr sein.
Wir definieren eine Zeiteinheit als eine bestimmte Anzahl
von Schwingungen eines Prozesses und können dann einen
zeitlichen Abstand als Anzahl der Schwingungen messen. Aber
was hat da Abstand, wenn wir annehmen, dass Zeit eine
Illusion ist?
Die Erkenntnisse der Quantenphysik bringen uns da weiter.
Die Quantenphysik ist bereits über 100 Jahre alt und
entstand, weil sich Phänomene der Teilchenphysik mit der
klassischen Physik nicht mehr erklären ließen. Als die
ersten Bausteine der Materie - Elektronen, Neutronen und
Protonen - entdeckt wurden, nahm man an, sie würden sich
ähnlich wie Himmelskörper verhalten und ebenso berechenbar
sein. Es zeigte sich jedoch bald, dass es unmöglich war zu
berechnen, zu welcher Zeit sich ein Elektron an einem
bestimmten Ort befand. Es war nur möglich, die
Wahrscheinlichkeit dafür anzugeben.
Unter bestimmten Bedingungen kann ein Elektron Energie
abgeben, z.B. in Form von Licht. Dabei wechselt das Elektron
von einer energiereichen Bahn um den Atomkern auf eine
energieärmere. Das tut es jedoch, ohne den Weg durch den
Raum zwischen den Bahnen zu benutzen. Es kreist auf der
einen Bahn, und im nächsten Moment befindet es sich auf der
anderen Bahn und es ist unmöglich zu messen, auf welchem Weg
es dahin gekommen ist. Mit anderen Worten: Das Elektron hat
keine Geschichte, keine Individualität – es hört
offensichtlich an einer Stelle auf zu existieren und
entsteht an anderer Stelle neu. Es sind auch andere Teilchen
experimentell nachgewiesen, die dieses Verhalten zeigen. So
sind z.B. die virtuellen Teilchen absolut notwendig,
um die Welt innerhalb der gültigen Naturgesetze zu erklären.
Sie tauchen aus dem Nichts auf, selbst da, wo keine Energie
zur Verfügung steht, existieren einen winzigen Augenblick
und verschwinden wieder.
Wenn man dieses Verhalten von Materie im Kleinen auf den
Makrokosmos überträgt, kommt man zu der Vorstellung, dass
die ganze Schöpfung in winzigen Abschnitten ständig vergeht
und neu geschaffen wird. Jede neue Schöpfung ist, wie die
Bilder auf einer Filmrolle, etwas unterschiedlich zur
vorhergehenden und erzeugt so die Illusion eines
kontinuierlichen Ablaufs.
Wenn wir Zeit messen, messen wir also in Wirklichkeit den
Abstand von zwei Schöpfungszuständen zueinander, so wie wir
den Abstand von zwei Bildern auf einer Filmrolle messen
können, und das tun wir in der einzig existierenden Zeit, in
der Gegenwart.
Oft sind wir mit unserer Aufmerksamkeit nicht in der
Gegenwart, sondern mit unseren Gedanken in der Vergangenheit
oder in der Zukunft und halten das Geflecht von Gedanken und
Gefühlen in uns für die Wirklichkeit. Wenn uns z.B. jemand
mit Worten verletzt hat, verbringen wir einige Stunden
danach vielleicht unsere Freizeit auf angenehme Weise, alles
ist jetzt harmonisch und wir sollten uns wohl fühlen. Aber
wir müssen immer wieder an den verletzenden Vorfall denken
und fühlen uns deshalb nicht so gut, wie wir eigentlich
annehmen könnten. Wir halten unsere Gedanken und Gefühle für
die Wirklichkeit.
Nehmen wir aber die Position eines Beobachters ein und
registrieren, was JETZT ist, dann werden wir feststellen,
dass wir jetzt Gedanken und Gefühle haben und zwar in
demselben Sinn, wie wir Hemden und Hosen im Kleiderschrank
haben. Zugegeben, die Gedanken und Gefühle sind
aufdringlicher als unsere Kleidung und lassen sich nicht so
leicht zurückhängen. Das liegt aber nur an lebenslanger
Gewohnheit und mangelnder Übung. Sind wir im Jetzt und uns
bewusst, dass wir Gedanken haben, können wir sie
zurückweisen oder auch zulassen, in dem Bewusstsein, dass es
nur Gedanken sind. Auch unsere Gefühle können wir beobachten
und selbst wenn es unangenehme Gefühle sind, fühlen wir uns
auf seltsame Weise besser, wenn wir uns bewusst sind, dass
wir nur Gefühle haben, wir aber nicht diese Gefühle sind.
Unsere Wirklichkeit besteht jetzt darin, dass wir in der
Gegenwart sind und diese Gefühle beobachten.
Indem wir nicht mehr Mitspieler, sondern Beobachter des
Spiels sind, gewinnen wir die Energie zurück, die sonst
durch negative Gedanken und Gefühle gebunden ist. Es gibt
verschiedene Methoden, um schlechte Gefühle in gute Gefühle
zu verwandeln. Oft genügt auch schon das reine Zulassen und
Beobachten, um eine Veränderung zu bewirken.
Im Jetzt zu sein und zu beobachten, was jetzt ist, bietet
uns die Chance, zu erkennen, wer wir sind. Unsere Existenz
besteht aus Sinneswahrnehmungen und Gedanken und aus daraus
resultierenden Empfindungen und Gefühlen. Das Zusammenspiel
dieser Komponenten erleben wir als Ich. Wir glauben, dass
wir das sind. Aber allein durch die Tatsache, dass wir all
das beobachten können, wird deutlich, dass wir nur der
Beobachter sein können und nicht das, was wir beobachten.
Wenn wir die Kleider im Schrank sehen, können wir sicher
sein, dass wir nicht die Kleider sind.
Durch ständiges Erinnern und Verweilen im Jetzt verwandelt
sich das bloße Wissen um unsere wahre Natur in eine
lebendige Erfahrung.
Dieser Anhänger ist als Erinnerungshilfe gedacht, immer
wieder ins Jetzt zu wechseln, vom Tun-Modus in den
Sein-Modus. Dann befinden wir uns im „Auge des Zyklons“, an
einem Ort der Ruhe und Sicherheit und können der wirbelnden
Welt um uns herum gelassen zusehen und daran teilnehmen,
ohne mitgerissen zu werden. |
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Normalerweise sind wir in der Welt aktiv, indem wir unseren
Verstand benutzen. Überlegungen sind die Grundlage unserer
Handlungen, und die Erfahrung zeigt: Je mehr wir tun, desto
ergiebiger sind meist auch unsere Ergebnisse.
Wenn es jedoch um Lösungen und Kreativität geht, sind die
die Grenzen des TUN-Modus schnell erreicht. Man dreht sich
dann mit seinen Gedanken im Kreis und kommt auch mit dem
Handeln nicht voran. Jetzt hilft der SEIN-Modus weiter. Im
SEIN-Modus hat der Verstand Urlaub und Gedanken kommen nur
zu Besuch vorbei. Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr aufs TUN
sondern aufs SEIN gerichtet. Wir sind nicht mehr Handelnder,
sondern Beobachter. Auf diese Weise sind wir mit der Quelle
verbunden, wo alle Lösungen bereits existieren und woher sie
jetzt in unser Bewusstsein gelangen können.
Ein alltägliches Beispiel für die Wirkungsweise des
SEIN-Modus ist, wenn wir etwas verlegt haben. Je mehr wir
suchen und überlegen, wo der verlegte Gegentand sein könnte,
desto intensiver werden unsere Emotionen („Aber es muss doch
da sein!“) und die Chancen erfolgreich zu sein sinken. Wir
können jetzt unsere Bemühungen und unsere Absicht aufgeben
und in den SEIN-Modus wechseln. Das bedeutet, wir suchen
nicht mehr, sondern wir lassen suchen. Dabei kann eine
Vorstellung hilfreich sein, wie z.B. die eines persönlichen
Finde-Engels, der nur darauf wartet, dass wir uns an ihn
wenden. Wir übergeben die Aufgabe an den Engel, gehen dann
absichtslos durch die Wohnung, mit der Aufmerksamkeit ganz
im JETZT und beobachten nur. Dabei fühlen wir bereits die
Freude über den wiedergefundenen Gegenstand. Das Ergebnis
kann erstaunlich sein. Manchmal steht man innerhalb von
Sekunden vor dem gesuchten Gegenstand.
Der Rhythmus eines erfolgreichen Lebens ist also nicht
tun – tun – tun sondern tun – sein – tun – sein – tun
(auf Englisch: do – be – do – be – do)

David
Steindl-Rast, der österreichisch-amerikanische
Benediktinerpater und Zen-Lehrer, sagt: „Wir sind nicht
dankbar, weil wir glücklich sind, sondern wir sind
glücklich, weil wir dankbar sind.“
Das
Gehirn verbindet Dankbarkeit mit einer positiven Erfahrung
und schüttet dann Wohlfühlhormone aus. Das tut es auch, wenn
wir nichts Besonderes bekommen haben und z.B. nur aus
Höflichkeit Danke sagen.
Diesen
Mechanismus kann man dazu nutzen, bewusst für alles zu
danken: auch für das Selbstverständliche und als nächsten
Schritt sogar für das Unangenehme. Das mag dem Verstand zwar
unsinnig erscheinen, aber es steigert das Wohlbefinden und
man fühlt sich reich und beschenkt.

Wenn die
Realität unseren Wünschen zuwider läuft, lehnen wir sie
gewöhnlich ab, was negative Gefühle in uns erzeugt. Wenn es
unsere Möglichkeiten übersteigt oder uns der Einsatz zu hoch
erscheint, die Situation zu ändern, können wir uns auch
dafür entscheiden, sie jetzt zu akzeptieren. Dann werden
Energien frei, die sonst in die negativen Gefühle fließen.
Wir nehmen die gegenwärtige Wirklichkeit als die im
Augenblick bestmögliche an und sind uns bewusst, dass dieser
Zustand kein endgültiger sein muss. Auf diese Weise halten
wir uns die Möglichkeit für Veränderung offen.
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